Yaneqdoten: Learn the rules, kid!

Yaneq gerät in eine verbale Auseinandersetzung mit einem französischen Plakatkleber über bestimmte Regeln im Plakatkleberbusiness, die es einzuhalten gilt.

Doch was hat Frau Reich, Schaffnerin der Deutschen Bahn damit zu tun?

»This is a jungle!«, sagte der Franzose, der sich gerade anschickte meine Party-Arty-Plakate am Görlitzer Park zu überkleben. Ich hatte ihn noch einigermaßen freundlich darauf hingewiesen, dass das Datum der Veranstaltung noch in der Zukunft lag und es einfache Regeln im wilden Plakatierbusiness gäbe. Einen Ehrenkodex quasi, der zum Beispiel besagt, dass man nur die abgelaufenen Plakate überklebt. Das stimmt so natürlich nicht, weil es streng genommen gar keine Regeln, sondern nur Wildwuchs gibt, aber man kann eine solidarische Geschäftsethik unter kulturellen Veranstaltern ja trotzdem mal aggressiv einfordern.

»And who makes these rules?«, fragte der Franzose schlau. »You?«
»No, not me but the Berlin club scene does. You tourists are all welcome here but please play according to the rules!«
»I am not a tourist«, sagte der Franzose in seinen ökigen Klamotten und gestikulierte mit dem Kleisterquast. »I live here since three years!«
»Oh, that’s very long! And you didn’t learn the language yet?« Ich wollte und will keine Sarrazinsche Assimilierungskeule schwingen, aber so gar nicht Deutsch gelernt in drei Jahren? »Are you very dumm or just ignorant?«
»I am a citizen of the Schengen countries«, kam es pikiert und spitz aus ihm geschossen, »so I can live where I want!« Pause, in der er zu denken schien, während er Kleistermasse auf sein Plakat schmierte. »And other people don’t speak french!«
»Oh, en peut parler francais aussi,« holte ich aus und die enttäuschte Überraschung ob dieser Wendung war in seiner Mimik zu lesen. »Mais toi, tu es ignorant! Ignorant avec la langue et avec notre règles«, und ich fiddelte die obere Ecke seines frischgeklebten Plakates von der Mauer am Görli ab, um es ganz runterzureißen. Ich zahle Geld für meine Plakate und die Kleberei! Kann ich ja gleich Zigarren mit anzünden, wenn meine Investitionen nach zwei Stunden wieder überklebt werden!
Jetzt verlor der Junge komplett die Nerven und machte Ansätze mir seinen Quast ins Gesicht zu schlagen.
»Oh, très aggressive!«, rief ich, erfreut darüber, dass meine Provokationen fruchteten und versuchte ihn durch ostentative Ruhe und breites Grinsen noch mehr aus dem Häuschen zu locken. »Oh, très aggressive!«, rief ich, erfreut darüber, dass meine Provokationen fruchteten und versuchte ihn durch ostentative Ruhe und breites Grinsen noch mehr aus dem Häuschen zu locken.»You are aggressive, too! And I hate these commercial events! I do real culture!« Kommerzialität und Kulturlosigkeit? Bei allem was recht ist, das hat mir noch niemand vorgeworfen. Ich guckte mir sein Plakat genauer an. Eine Jam Session im Lovelite. Im Lovelite! Das ich nicht lache, da habe ich auch jahrelang gefeiert. Wir können sie ja anrufen! Eine simple Jam Session als edle und nicht-kommerzielle Veranstaltung zu hypen? Ich bitte dich! Das ist nicht hehre Kultur! Das ist schnöde Selbstverwirklichung, mein Freund! Blues-spielende Gitarrenrocker in Cordhosen und Trekkingsandalen, die 40 Jahre hinter der Blüte und der kommerziellen Ausbeute ihres speziellen Genres leben und deren Götter allesamt verstorben sind, sind nicht Kultur; sie sind reaktionär! Laaangweilig! Geh zurück in die Provençe, Kräuter pflücken!
Die gleiche Situation habe ich vor drei Jahren mal mit einem Italiener am RAW-Gelände in Friedrichshain erlebt. (Immer diese südeuropäischen Rockhippies!) Mit dem Jungen musste ich mich Schubsen und noch zweimal in der gleichen Nacht anrücken, um seine Plakate wieder abzureißen. Wo kommen wir denn hin?! Learn the rules, kid! Wie, wer die ganzen Regeln macht? Icke hier! Und mich regt sowas auf!
Es gibt Regeln, die einzuhalten sind. Und es gibt Regeln die flexibel zu interpretieren sind. Zum Beispiel neulich, als die Schaffnerin namens Reich imICE nach Hannover mein Ticket kontrollierte und monierte, dass meine Bahn Card 25 seit anderthalb Monaten abgelaufen war. »Oh, das ist mir gar nicht aufgefallen.« »Ja, da müssen sie jetzt nachzahlen.« »Aber die Kollegin, die mir das Ticket verkauft hat, hat es doch auch nicht bemerkt, Frau Reich. Können sie da nicht kulant sein und ein Auge zudrücken?« »Nicht bei anderthalb Monaten«, sagte Frau Reich, »sie spinnen wohl!« Diese Pedanterie! Diese Pedanterie macht mir Magensäure. Dieses analfixierte Jede-Regel-aufs-penibelste-Befolgen. »Frau Reich, an dieser kleinlichen Regeltreue ist die DDRauch schon zerbrochen!« Sie sagte gar nichts, tippte nur unwirsch auf ihrem Kassengerät rum. Die Lippen zuckten. »Frau Reich, sie schmeißen doch bestimmt heute auch noch eine Minderjährige in der Provinz aus dem Zug, weil sie nicht das richtige Ticket dabei hat!« Frau Reich reagierte nicht, aber ich konnte an dem nervösen Zucken um ihre schmalen Lippen sehen, dass sie sich durchaus ärgerte. Diese schmalen Lippen: Die kommen auch vom vielen verbissenen Regeln-befolgen. Dafür drehte sich jetzt die Frau vor mir empört in ihrem Sitz um und starrte mich kopfschüttelnd an. Ich lächelte offensiv zurück.
Genützt hat mir mein Protest nichts. Weder bei Frau Reich von der Bahn noch bei dem Franzosen von der Jam. Außer, dass ich mich jetzt selbst als Querulant und empörter Kleinbürger fühle. Das Plakat hat der Hippie überklebt und die Bahncard muss ich neu kaufen. Genutzt hat es zwar nichts, aber immerhin meinem Ärger habe ich Luft gemacht. Auch so eine Regel, die eingehalten werden will.

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