Yaneqdoten: Freestyle Esperanto

Yaneq erzählt von seinem sicheren Umgang in verschiedenen Sprachen,
davon, wie man ihn in San Sebastian für einen Zugewanderten und ein Brite ihn für einen Iren hielt und Niederländer ihn für seinen Versuch Holländisch zu reden noch lobten.

 

Gib mir zwei, drei Bier und ich spreche jede Sprache, inklusive des Kantonesischen.

Okay, das ist Angeberei, aber im Ernst: Zumindest bei den romanischen der europäischen Sprachen gilt, beherrscht man eine von ihnen, kommt man bei den anderen frei improvisierend schon irgendwie durch.
Das ist mir das erste Mal beim Urlaub im Baskenland aufgefallen. Hochpolitische Gegend, Anfang der Neunziger, Straßenmalerei voller anti-spanischer Parolen und Wandzeitungen, die von Inhaftierten ETA-Kämpfern berichten. Der Tenor befreiungsnationalistisch mit Verwurzelung in den 1970er Jahren. Irgendeine von Punks betriebene Kneipe in San Sebastian oder so. Wir trinken und stoßen an und mich interessiert der Umstand sehr, dass hier offensichtlich radikale Postionen im Straßenbild mehrheitsfähig sind. Also will ich fragen und reden. Aber wie? Die Jungs sprechen kein Deutsch und kein Englisch. Französisch lehnen sie als Kolonialsprache ab.
Ich denke, Begriffe wie Politik und Ökonomie sind international. Und ich denke mir, wenn ich mich in Deutschland mit einem frisch Zugewanderten unterhalte, dann achte ich auch nicht auf den Akzent und seine Grammatik, sondern auf das, was er mir zu sagen hat. Also lege ich schamfrei los, nehme mein Schulfranzösisch und die deutschen Fremdwöter, hänge hinten »Os« und »As« an die Worte und spreche sie mit einem gefaketen italienischen Kellnerakzent aus: »Si, la blockado economico es una grande problema por el system political del la Cuba! Por el socialismo, eh?!«, wobei die «eh?!«-Endung entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Gesagten ist, das spürte ich instinktiv. Die Punks nickten bestätigend, »Si, un grande problema!« Der Anfang war gemacht.
Ich verfeinerte die Beherrschung dieser wahrhaft internationalen Sprache als ich um das Jahr 2002, es war Sommer und Fußballweltmeisterschaft, einer sehr attraktiven Frau mit großem, unter einem Trikot der brasilianischen Nationalmannschaft wogenden Busen in meinem Treppenhaus begegnete. »Ah, Brasilia«, rief ich und strahlte sie an. »No, Argentina«, sagte sie und funkelte zurück und dann erklärte sie mir, dass sie als Südamerikanerin in Europa fußballtechnisch auch für die Nachbarländer halte.
Laura sprach kein Englisch und noch weniger Deutsch. Sie lebte für drei Monate bei mir im Haus, im dritten Stock und besuchte einen deutschen Sprachkurs. Sie gehörte zu der Generation Agentinier und Chilenen, die aufgrund der ökonomischen Krise zu Anfang des Jahrtausends ihren Heimatkontinent verlassen hatten, um in Europa Arbeit zu finden. Ganze Heerschaaren von ihnen lebten damals in Barcelona und schlugen sich als Verkäufer und Kellner durch. So auch Laura und jetzt war sie in Berlin, um Deutsch zu lernen, wohnte bei mir im Haus und ich wollte unbedingt mit ihr Spanisch lernen. Wir begannen umgehend eine heiße Affäre und unterhielten uns auf meiner frei improvisierten Sprache, die täglich ausgebaut wurde und die wir »Romantico« nannten – also, ich sprach so, sie lachte und sprach spanisch, aber es funktionierte halt.

Gib mir zwei Bier und ich spreche jede Sprache. Zumindest fällt die Schamgrenze so weit, dass ich es probiere. Das war schon früher so, als ich mit meinen Leute öfters mal nach Holland fuhr, um Haschisch zu kaufen. Hape Kerkeling hatte gerade seinen Stunt als Königin Beatrice gelandet, war in schwarzer Limousine und im Kostüm beim Bundespräsidenten im Bellevue vorgefahren und hatte behauptet: »Ick bin de Beatriesch, ick will mal even lecker Mittageschen mit het Päjsidenten!«
Ich lieh mir Kerkelings Methode, um an der niederländischen Tanke OCBs und Snickers zu kaufen. Meinen Freunden war das unsäglich peinlich. »Hör auf, Alter, die fühlen sich verarscht!« Tatsächlich merkte jeder Holländer sofort, dass hier ein Deutscher seine eigene Sprache mit dem Akzent zu sprechen versucht, den er für den ihren hielt. Aber sie fühlten sich nicht beleidigt, im Gegenteil, schienen sie zu denken, endlich mal ein Deutscher, der uns nicht in seiner Sprache zuquatscht, ohne zu fragen, ob wir diese sprechen, sondern zumindest versucht in unserem Land unsere Sprache zu sprechen. Das interpretierte ich zumindest so und mache das heute noch, wenn ich »Krokettjes mit speßijale Sossche« bestelle. Nur einmal ging diese Nummer für mich nach hinten los. Ich flog mit der niederländischen KLM nach Südafrika und saß neben einem Engländer, dem zu Ehren ich mein sonst eher dem Amerikansichen zuneigenden Englisch einen starken Cockney-Twist gab, weshalb er mich zumindest für einen Iren hielt. Das nahm ich erst mal als Kompliment – immerhin von einer der Inseln! Aber als die holländische Stewardess mich dann, nachdem ich sie zum wiederholten Male mit »twejmal ejn Gläschje Cognac und twejmal het lecker Heinecken« anmoderiert hatte, für einen südafrikanischen Buuren hielt, anstatt für einen – meinetwegen – Südlimburger oder sonst einen ihrer Landsmänner oder zumindest für den Deutschen, der sich Mühe gibt – da war ich doch ernsthaft schockiert; ja, beleidigt und empört war ich.
»A Buure? Are you kidding? Do I look like a fucking Nazi to you? I am German, Ma’am«, protestierte ich. Und da keine echten weißen Südafrikaner um mich rum saßen, kam der Witz gut an. Die holländische Stewardess, mein britischer Sitznachbar und ich lachten laut, der Ire und ich stießen an und wir flogen entspannt den bösen Buren entgegen, in Völkerfreundschaft vereint.

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