Wenn man etwas Verbotenes tun will, ohne sich dabei erwischen zu lassen, sollte man es möglichst auffällig und dreist machen. Auf diese Weise erweckt man den geringsten Verdacht. Wer besonders unauffällig wegguckt, wenn er einen Wachmann sieht, hat schon verloren, denn das erregt dessen Misstrauen.
Zum Beispiel trug ich einmal von den Polizisten im Treppenhaus unbehelligt einen Plattenspieler weg, nachdem die Cops die illegale Party meines Freundes aufgelöst hatten, während sie hingegen den unsicheren Typen, der nur vier Schritte hinter mir versuchte eine Kiste Platten zu retten, aufhielten und die Kiste konfiszierten. Es liegt am Blick und an der Art.
Ein Glanzstück in Unverfrorenheit gelang aber zwei Bekannten von mir in dem Bonner Vorort, wo wir aufwuchsen. Sie fuhren mit einem Pritschenwagen und in grauen Hausmeisterkitteln gekleidet vor die örtliche Polizeiwache, gingen hinein und teilten dem ersten Beamten, der sie nach ihrem Auftrag fragend anblickte unverfroren mit: »Tach. Wir sollen den Schreibtisch hier abholen.«
»Was? Davon weiß ich ja gar nichts!«, sagte der Polizist verwundert und vielleicht auch ein wenig beleidigt darüber, dass man es nicht für nötig gehalten hatte, ihn zu informieren. Trotzdem fügte er sich brav: »Ja, Moment mal«. Er räumte seine Schubladen aus, stellte die Schreibtischlampe und das Telefon auf den Boden und meine Bekannten trugen den Tisch raus, stellten ihn auf den Pritschenwagen und fuhren davon. Den Bullen war der Vorfall – nachdem sie bemerkt hatten, welches Spiel mit ihnen gespielt worden war – dermaßen peinlich, dass sie von einer Veröffentlichung in der örtlichen Zeitung und von einer Anzeige absahen. Den Tisch haben sie nie wieder gesehen.
Ein andern Mal, viel später, machte mir ein befreundeter und extrem talentierter Streetartist einen Schriftzug meines Namens. Für mein Albumcover wollte ich aber nicht nur den Schriftzug, sondern auch ein Foto davon. Ein Foto des Schriftzugs in beeindruckender Kulisse, um genau zu sein. Wir wählten ein abgerocktes Haus in Sichtweite des Potsdamer Platzes. Das Haus steht hinter dem alten Club Tresor, der gerade abgerissen worden war, sodass man freie Sicht auf die vierspurige Leipziger Straße und das Ministerium dahinter hatte. Ein Ort, so zentral und wichtig, dass alle fünf Minuten ein Polizeiauto oder eine Wanne vorbeifuhren und permanent Touristen und dergleichen auf und ab flanierten.
Wir trafen uns um elf Uhr morgens vor dem Haus. Mein Freund – nennen wir ihn mal aus strafrechtlich relevanten Gründen Beduine – erschien im weißen Maleroverall – in den Händen ein Farbeimer und eine Teleskopstange mit Malerrolle dran. »Ey, Yaneq, voll geil. Mich haben alle Handwerker in der U-Bahn gegrüßt!«, rief Beduine vor Freude strahlend zur Begrüßung.
Wir kletterten über die Mauer, um zur ausgewählten Wand zu kommen. Dafür mussten wir auf ein vier Meter hohes Vordach steigen. Wer auf der Leipziger Straße ging oder fuhr und über den Bauschutt des Tresors guckte, musste uns unweigerlich sehen. Zwei Männer, der eine von ihnen im weißen Overall mit Teleskopstange und Farbe, markierte die Wand, der andere stand einfach nur so rum und guckte zu. Keiner nahm Notiz von uns und Beduine malte dreißig Minuten lang in aller Ruhe ein fast drei Meter hohes und gut sechs Meter breites »Yaneq«-Piece an die Wand. Immer wieder trat er von der Wand zurück, ging vorsichtig über das baufällige Vordach, das permanent unter unserem Gewicht einzustürzen drohte, um Maß zu nehmen und rollerte dann weiter. Als er fertig war, zog ich mir meine feine Bühnenjacke an und er nahm seine Kamera, um die nächsten anderthalb Stunden in aller Ruhe Fotos von mir vor dem Motiv zu machen. Dann packten wir zusammen und verließen nach gut zwei Stunden wieder das Areal über die Mauer, über die wir schon gekommen waren. »Clean in – clean out!«, sagte Beduine und dann gingen wir Kaffee trinken.
Wenn man etwas Verbotenes tun will, ohne sich dabei erwischen zu lassen, sollte man es möglichst auffällig und dreist machen. Auf diese Weise erweckt man den geringsten Verdacht. Allerdings sollte man nach Möglichkeit nüchtern sein, wenn man etwas Verbotenes tun will, ohne sich dabei erwischen lassen. Betrunkenen Zustands kann die Nummer gut nach hinten losgehen. So ist es einmal zwei Brüdern ergangen, die man Anfang der Neunziger in Bonn nur als die Müller-Brüder kannte – nennen wir sie mal so.
Die Müller-Brüder waren legendär in der Gegend. Sie waren auf jeder Party und selten ohne den Einfluss berauschender Substanzen anzutreffen. Tim Müller, der jüngere der beiden fackelte einmal, siebzehnjährig, unwillentlich das halbe Haus seiner Eltern ab, als diese verreist waren und er die Gelegenheit nutzte sämtliche seiner Bekannten und deren Freunde samt derer Bekannte und Freunde zu einer Bottleparty einzuladen. Die Müllerbrüder waren legendär in der Gegend.
Und einmal schwankten sie nachts besoffen aus einer Bonner Antifa-Kneipe und liefen Arm in Arm betrunken und wahrscheinlich Slime singend durch die Straßen der Stadt bis sie am Bonner Loch, an der dort gelegenen Polizeiwache vorbeikamen, neben der damals gerade eine Baustelle war. Das Bonner Loch ist ein tiefergelegter Platz vorm Hauptbahnhof, an dem damals die Skater und die Junkies abhingen. Die Müller-Brüder guckten sich an, ein Geistesblitz erhellte ihre Minen von innen und dann sagten sie wahrscheinlich so was wie »Scheißbullen!« und so was wie »Einmauern!«.
Die Müller-Brüder gingen auf die Baustelle, Stefan schmiss den Betonmischer an und sein jüngerer Bruder Tim kippte Zement und Wasser hinein und schaufelte Sand dazu. Dann schmissen sie Steine in eine Schubkarre, kippten den frischen Zement in Eimer, schafften alles vor die Wache und begannen umgehend damit eine Reihe Steine in den Eingang zu mauern. Sie klecksten den Zement auf die Steine und legten Reihe um Reihe aufeinander. Als sie ihr Werk auf Hüfthöhe gebracht hatten, kam endlich ein Polizist vor die Tür und wunderte sich laut: »Wat is denn datt hier?« Die Müller-Brüder antworteten mit vor Stolz geschwellter Brust: »Wir mauern euch ein, Scheißbullen!«
Sie kamen nicht mehr dazu eine weitere Reihe Steine aufzulegen, denn der nun laut lachende Cop rief seine Kollegen und gemeinsam verbrachten sie das revoltierende Brüderpaar in die Ausnüchterungszelle.
Wenn man etwas Verbotenes tun will, ohne sich dabei erwischen zu lassen, sollte man es möglichst auffällig und dreist machen. Allerdings auch nicht zu auffällig und zu dreist und vor allem auch nicht zu betrunken. Sonst weiß man beim Aufwachen am nächsten Morgen nicht so genau, wo man ist. Nur die dunkle Ahnung erwischt worden zu sein, ist alles was bleibt.