Die Rede von Jan Kage anlässlich der Ausstellung: „Ein Monument für Wolfgang Neuss“
Initiiert von Jan Muche
28. September bis 10. November 2019 Mit Werken von:
Sonja Alhäuser, Axel Anklam, Johannes Bansmann, Jennifer Bennett, Fritz Bornstück, Birte Bosse, Ulrike Buhl, Jessica Buhlmann, Brad Downey, Thomas Draschan, Sven Drühl, Janine Eggert, Marion Eichmann, Wolfgang Flad, Frederik Foert, Lola Göller, Philip Grözinger, Christian Henkel, Thomas Henninger, Isabel Kerkermeier, Fee Kleiss, Franziska Klotz, Karsten Konrad, Jerry Kowalsky, Joachim Lottmann, Rainer Neumeier, Lea Asja Pagenkemper, Manfred Peckl, Wolfgang Petrick, Bettina Scholz, Markus Stein, Michael Wutz
„Guten Abend, Girls und Boys, hier begrüßt Sie der Thersites vom Lützowplatz. Das Ungeheuer von Loch Neuss “
— Wolfgang Neuss, „Das letzte Gerücht“, Domizil im Haus am Lützowplatz 1963
Die Rede von Jan Kage
Wir Kellerkinder
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Ein Monument für Wolfgang Neuss“ im Haus amLützowplatz, 27.9. 2019 von Jan Kage
„Guten Abend, Girls und Boys, hier begrüßt Sie der Thersites vom Lützowplatz. Das Ungeheuer von Loch Neuss“
… sang Wolfgang Neuss Anfang der 1960er. Unter anderem genau hier. Beziehungsweise, ein Geschoss tiefer. Im Keller des Hauses am Lützowplatz. Und schwang dazu die Schlagzeugstöcke. Überhaupt der Keller. Ich komme noch dazu.
Anfang der 60er, da war der 1923 in Breslau Geborene schon gute fünfzehn Jahre im Geschäft. Als Mann mit der Pauke hatte er sich im Kabarett einen Namen gemacht. Als Schauspieler wirkte er allein zwischen 1950 und 66 in 55 Filmen mit. Auch wenn ihn heute viele aus meiner Generation, wenn überhaupt, nur dem Namen nach kennen: Um Wolfgang Neuss kam man damals nicht herum.
Damals, im Wirtschaftswunder Deutschland war Neuss eine Marke. Viele der Filme, in denen er mitspielte waren Mainstreamerfolge: „Die schöne Müllerin“ oder „Das Wirtshaus im Spessart“ standen in den 50ern für den Geist der Zeit. Beziehungsweise besser für den Ungeist des Nachkriegsdeutschlands, das Vergessen und Verdrängen und Fressen und Auto wollte. In dem es keiner gewesen war. Und niemand gewusst hatte. Filme aus einer Industrie, denen die guten Leute 1933 abhanden gekommen waren und die auch nie wieder zurückgekommen sind. Weswegen diese Streifen auch genauso aussahen und sprachen. Filme, die nicht gerade zum Stachellöcken produziert wurden.
„Wir Kellerkinder“ hingegen – von Wolfgang Neuss geschrieben und gespielt – tat 1960 genau das. Drei Jazzmusiker, die eigentlich nur im Keller – unser roter Faden heute –jazzen wollten, aber neun Jahre lang in die Anstalt müssen, weil sie die einzigen sind, die damals nicht dabei waren und deswegen, durch ihre pure Existenz diejenigen, die damals dabei waren und die es damals waren, genau daran erinnern, wer sie waren und wer sie sind. Drei Jazzer, die den Vätern 1959 Hakenkreuze an die Fenster malen
und dafür wieder in die Klapse kommen. Wo sie Teppiche klopfen müssen, anstatt den T akt.
Neuss war also in den 50ern ein Antipode den man wahrnahm. Wolfgang Neuss war nicht Underground – auch wenn das widersprüchlich klingt beim Kellerkind. Er nutzte seinen Ruhm, um gehört zu werden. Um für seine eigentliche Botschaft Publikum zu finden. Und vielleicht auch, um das nötige Kleingeld für gestärkte Hemden und schicke Autos zu haben. Um zu leben und zu lieben.
„Die Vergangenheit ist unbewältigt. Die Vergangenheit wie sie uns nachhängt.“
Das sagte Neuss im Postfaschismus, als die Richter, Polizisten, Lehrer – als der gesamte Beamtenapparat der Bundesrepublik zu 80% aus ehemaligen NSDAP- Mitgliedern bestand und auch der Rest der Gesellschaft noch in der kollektiven Mitschuld hing. Wobei Neuss auch die DDR nie aussparte. Einer ging Richtung Adenauer, wenn er austeilte. Einer Richtung Ulbricht. Neuss kämpfte und sprach gegen die Hybris. Allerorten, in beiden Deutschlands. Den legendären Auftritt im Osten, im Berliner Ensemble wollte der Apparat verhindern und durfte dann auf Helene Weigels Intervention hin doch stattfinden. Wenn auch nur in der Kantine des BEs – im Keller also – und vor ausgesuchtem Publikum.
„Die Vergangenheit ist unbewältigt. Die Vergangenheit wie sie uns nachhängt.“
Das gilt auch heute noch. Und nicht nur im deutschen Film.
Ich bin auch ein Kellerkind. Ich zitterte nicht in den Kellern, als die Bomben fielen, um das Unrecht zu vertreiben. Dafür bin ich zu jung. Aber ich spielte auch Trommel im Keller. Vierzig Jahre später. Schlagzeug in den 80ern im Keller eines Vorortes der Bundeshauptstadt Bonn. Als die Beamten in den Ministerien wahrscheinlich noch zu 50 oder 40% aus ehemaligen Parteigängern bestanden. Leute, die sich in Meckenheim ein Reihenhaus gekauft hatten.
Meckenheim – wo der 858er von Bonn aus hinfährt, wo aber alle Auto fahren – ist für drei Dinge bekannt. Der Zuckerrübensirup Grafschafter Goldsaft ist dabei das unpolitischste. Der fünfte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Karl Carstens war meinerzeit der berühmteste Bürger der Stadt. Als sich linke Kreise 1979
über Carstens NSDAP-Mitgliedschaft zu empören erdreisteten, sprang ihm die aufrechte Meckenheimer Bevölkerung mit allen demokratischen Mitteln die ihnen bekannt und vertraut waren zur Seite und zu Hilfe: Sie organisierte einen Fackelzug. Unser dritter Claim to Fame, die Außenstelle des Bundeskriminalamtes, die bis zum Aufliegen des Nationalsozialistischen Untergrundes im Jahr 2011 in der Paul Dickopf- Straße residierte. Der hier gewürdigte Dickopf war der Gründer und spätere Präsident des BKAs. Und bevor er dieses gründete, war er selbstverständlich Mitglied der NSDAP. Und er war SS-Mann. „Er gestaltete das BKA und sein Wirken größtenteilsdurch Übertragung der Strukturen und Begrifflichkeiten des Nationalsozialismus.“(wikipedia). Die Straße heißt heute anders.
Vom Meckenheimer Keller schaffte ich es über Umwege und noch vor der Regierung nach Berlin – in die Keller Mittes, Prenzlauerbergs und Friedrichshains. Heute jazzen wir im Kreuzberger Kunstkeller KanyaKage. (soviel Eigenwerbung sei erlaubt).
„Die Vergangenheit ist unbewältigt. Die Vergangenheit wie sie uns nachhängt.“
Und fürderhin nachhängen wird! Der Verfassungsschutz wird die Ermittlungsakten zum Nationalsozialistischen Untergrund für die nächsten 120 Jahre unter Verschluss halten. Den Untergrund in den Kellern ihres Archivs also. Ein Schelm, wer den Hütern der Verfassung dabei Böses unterstellt.
Wo ist heute dieser Schelm, der Böses unterstellt? Oder besser: Der Böses benennt. Der die Wahrheit spricht in einer Welt, die ziemlich böse ist. Der die Wahrheit in einer Manier spricht, der nicht vernünftig widersprochen werden kann? Der durch seine Integrität Wahrheit verkörpert?
„Ein Monument für Wolfgang Neuss“ heißt die Ausstellung, die wir heute eröffnen. EinMonument um an einen Künstler zu erinnern, wie es ihn in seiner Kompromisslosigkeit heute in diesem Land nicht gibt. Der eine Stimme erhob, die auch heute erhoben werden sollte, erhoben werden müsste. Ein Wahrsprecher, der die Kunst beherrschte, den Nagel auf den Kopf zu treffen, ohne die Leute vor den Kopf zu stoßen. Oder diese sich zumindest nicht beschweren konnten, wenn er sie vor die Köpfe stieß, weil er Worte wählte, denen sie nicht widersprechen konnten, ohne sich selbst zu entblößen. Der spitz und pointiert formulierte und der seine gerechte Wut mit seinem Witz
verkleiden konnte. Der seinen Zorn dermaßen zu kontrollieren verstand, dass der Angriff sagbar war, ohne dass der Sagende als Eiferer mit Schaum vorm Mund denunzierbar gewesen wär. Selbst die Angesprochenen oder die Angegriffenen wurden überwältigt. Guckt mal Neuss mit Richard von Weizäcker auf Youtube. Man konnte eigentlich nicht widersprechen. Neuss‘ Intellekt funktionierte schnell und war brillant. Er beherrschte den Raum. Weil er wahr formulierte. Und weil er brannte.
Sieht man sich heute seine Performances an, seine Auftritte, dann erinnern sie mehr an amerikanisches Stand-Up Comedy, als an bundesdeutsches Kabarett. Da ist nichts Didaktisches drin. Nichts moralin Belehrendes. Nichts Ans-Publikum- Ranschmeißerisches. Nichts Langsames. Kein mühsamer, dozierender Aufbau. Neuss kommt zur Sache. Jeder Satz ist eine Pointe die sitzt. Das sind One-Liner. Das ist Jazz.
Als die 68er den Muff von tausend Jahren vertrieben, war Wolfgang Neuss, wenn nicht Vaterfigur, dann sowas wie der ältere Bruder. Man traute keinem über 30, außer diesem 45-jährigen, dem man an den Lippen hing. Auch hier im Keller des Hauses am Lützowplatz. Neben Dutschke und Teufel war Neuss eine Stimme. Und im Gegensatz zu diesen eine, die dem älteren Publikum bereits aus den 50ern bekannt war, die man nicht ganz so schnell abtun konnte. Eine Brücke der Generationen. Wobei „Brücke“ein falsches Bild evoziert. Neuss ließ nie Zweifel daran auf welcher Seite der Barrikade er stand.
Und ganz Kind seiner Zeit, beziehungsweise großer Bruder, wandte auch er sich Ende der 60er, Anfang der 70er den bewusstseinserweiternden Substanzen zu. Eine Hinwendung, die dreierlei bedeutete: Für ihn persönlich einen Prozess des In-Sich- Gehens. Für sein Verhältnis zur Gesellschaft eine Abwendung. Und für seine Karriere, zumindest was die öffentlichen Auftritte betrifft: Das Ende. Die Haare wurden länger. Die Zähne vielen aus. „Ich hatte auch mal schöne Beißer. Ist doch auch nurStatussymbol!“
Die Mehrheit der Leute hat sein „Aussteigen“, wie man das damals nannte, nichtverstanden. Im Gegenteil. Es stieß auf Ablehnung. Auch bei denjenigen im Bürgertum, denen er bislang gefallen hatte. „Ach, das könnte schön sein – als friedlicher Bürger – sein ehrbares Leben, so ganz auszukosten“, sang Neuss bereits in einem dieser 50er Jahre Filme.
Seine Kabarett Kollegen der 80er – diejenigen mit den Fernseh-Shows – besuchten ihn in der Schöneberger Sozialwohnung. Saßen sich unwohl fühlend auf einem der wenigen, wenn nicht dem einzigen Möbel, der Matratze und bezahlten mit ein paar hundert Mark die Pointen, die er ihnen mitgab und auf die sie nicht selber kamen. Neuss blieb wach. Und aware. Und die Kollegen wussten das.
Dieses Jahr jährt sich Wolfgang Neussens Ableben zum 30sten mal. Weshalb Jan Muche die Initiative ergriffen hat, ihm hier ein Monument zu setzen. 33 Monumente, um ganz genau zu sein.
Interessanterweise sagte Neuss mal über den Tod, was auch sein amerikanischer Kollege, der großartige Stand-Up-Comedian Bill Hicks in den frühen 90ern ganz ähnlich formuliert hatte. Wie Neuss war Hicks ein Wahrsprecher und großer One-Line- Meister. Ein wütender Prophet, der stinksauer ist, dass die Welt nicht ist, wie sie sein sollte und der sein Publikum dafür in Haft in nimmt. Wie Neuss war auch Hicks ein Freund der psychedelischen Substanzen. Und wie Neuss war auch Hicks davon überzeugt, dass der Tod nicht existiert.
Neuss sagte: „Wir ham gar keine Schangsen nicht zu leben. Ich geb euch die Botschaft, die ist zwar nicht tröstend, weil man ja auch ableben muss. Aber man lebt nur ab, um zu leben. Man lebt immer. Immmer immmer immer“ Oder in den Worten Bill Hicks‘: „There is no such thing as death. Life is only a dream and we are the imagination of ourselfs.“
Bill Hicks starb 1994. Neuss 89.
Auch wenn ich, um es mit Jimi Hendrix zu sagen, nicht ganz un-experienced bin und mir etliche Jahre meines Lebens große Mühe gegeben habe, die Neusssche Maxime, auf deutschem Boden dürfe nie wieder ein Joint ausgehen zu befolgen, bin ich geistig noch nicht ganz so weit, diese tiefere, transzendente Wahrheit den Tod betreffend wirklich nachvollziehen zu können. Aber so wie Wolfgang Neuss einmal in den 80ern bei einem Auftritt die verstorbene Ulrike Meinhof anrief und es ernst meinte, das mit dem mit den Toten sprechen, meine ich es ernst, wenn ich hier und jetzt behaupte: Der Geist von Wolfgang Neuss ist heute hier.
Denn: „Die Vergangenheit ist unbewältigt. Die Vergangenheit wie sie uns nachhängt.“ – sie ist heute und hier auch Wolfgang Neuss.
Homer schildert den eingangs von Neuss erwähnten Thersites „drastisch als hässlichen, schmähsüchtigen und daher von den Helden verachteten, allgemein verhassten und erfolglosen Demagogen.“ (wikipadia) Damit identifizierte sich Wolfgang Neuss.
Und genau solche Typen fehlen im Instagram-Zeitalter der plastischen Chirurgie, der Sprach- und Media-Coaches, der gestanzten Schablonen und glänzenden Oberflächen, im Zeitalter der Dieter Nuhrs und Mario Barths, der Drögen und der Blöden also, der Karrieristen und der Bequemen, der Zögerer und Zauderer, der Angsthasen und der Absicherer, der Versicherer und der Versicherten, derjenigen die es wissen und trotzdem nichts machen, der SUVs, derjenigen die Greta Thunberg mitFuror fragt: „Wie könnt ihr es wagen?!“ und die es trotzdem tun, im Zeitalter der geschredderten Akten und verhedderten Fakten, der faken news, der mordenden Nazis und hatenden Trolle, der Mahnmäler der Schande, der Böcke zum Gärtner, der Höcke und härter-en Kaliber, man-wird-doch-wohl-noch-mal-sagen-dürfen-können und es-muss-doch-wirklich-mal-vorbei-sein, der Fliegenschisse und der fiesen Ische Steinbach, der eskalierenden Spiralen und dekadentierenden Kulturen … –
– im Zeitalter der unbewältigten und der nachhängenden Vergangenheit.
Ein Glück also, dass es den Tod nicht gibt. Ein Glück, dass Wolfgang Neuss lebt und bei uns ist. Ein Glück, dass ihm heute hier trotzdem ein Monument gesetzt wird. Ein Monument für das Leben. Ein Monument für Wolfgang Neuss!
Es lebe der Keller. Es leben die Wahrheit, das Leben, die Liebe und es lebe die Kunst. Es lebe Wolfgang Neuss, Ihr Girls und Boys!