Das aktuelle Projekt von Various & Goulds inklusive Fotos der feierlichen Einweihung und Rede von Yaneq
Im Rahmen des Wettbewerbs „Kunst im Untergrund Mitte in der Pampa“ der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) wurde das Projekt „City Skins – Marx und Engels realisiert. In einer urbanen Intervention haben die Künstler über das verlängerte Wochenende eine Papiermaché-Abformung des von Ludwig Engelhardt zu DDR-Zeiten gestalteten Marx-Engels-Denkmals in der Nähe des Roten Rathauses vorgenommen. Die daraus entstehende Papier-Hülle trägt den Namen „City Skins“. Im Anhang findet Ihr erstes Bildmaterial von der Abformung (Foto Credits sind in den Bildbeschriftungen enthalten, bitte bei Verwendung angeben), die in den kommenden zwei Wochen von dem Künstlerduo zu einer Skulptur zusammengesetzt wird.
Im Anschluss wird die Abformung buchstäblich von der „Mitte in die Pampa“ transportiert und nach einer feierlichen Einweihung am 20. Mai um 15:30 Uhr bis zum 28. Mai auf dem Stelenfeld für „Hellwichstorp“ am Cottbusser Platz in Berlin-Hellersdorf präsentiert. Herzlich laden wir Euch zur Enthüllung ein inklusive einer Rede von Jan Kage (Schau Fenster) und einem Textbeitrag von Annika Hirsekorn (neurotitan). Im Anschluss findet um 17 Uhr der Vortrag „Marx-Engels-Denkmal – Ja!“ von Erik Göngrich in der nahe gelgenden Station urbaner Kulturen statt. Das weitere Rahmenprogramm kann dem angehängten Flyer entnommen werden.
Das Marx-Engels-Denkmal fungiert als Überbleibsel einer anderen Epoche, das nach dem politischen Umbruch der Wiedervereinigung zwar immer noch sichtbar, gar ein beliebter Touristenmagnet ist, dessen Zukunft im Zuge der Umbauarbeiten jedoch einen ungewissen Ausgang hat. Mittels der farbig und mit Siebdruck gefertigten Papier-Hülle soll den Figuren temporär ein neues Erscheinungsbild verliehen, diese als Kommunikationsfläche im öffentlichen Raum genutzt und zurück in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden.
Samstag | Saturday, 20 Mai 2017
15.30h Einweihung | Inauguration
Various & Gould: City Skins – Marx und Engels
Mit einer Einführung von | Introduction by Jan Kage
und I and Annika Hirsekorn am | at Place Internationale
17h Vortrag und Eröffnung | Lecture and opening
Marx-Engels-Forum – Ja! von | by Erik Göngrich
in der | in station urbaner kulturen
Various & Gould
„City Skins – Marx und Engels“
Rede zur Rede zur feierlichen Enthüllung der temporären Installation auf der Grünfläche am U-Bhf Cottbusser Platz (U5) in Berlin-Hellersdorf am 20. Mai um 15.30 Uhr
von Jan Kage
Es geht ein Gespenst um in Europa, das Gespenst des Kommunismus, stellte Karl Marx seiner vor bald 170 Jahren erschienen Publikation, dem „Manifest der kommunistischen Partei“ voran. Am heutigen Tag zieht lediglich ein Geist von Berlin-Mitte nach Hellersdorf. Ein Geist oder vielmehr eine bunte Hülle, die Abformung des Denkmals von Marx, dem bedeutenden Philosophen, der die Welt vom Kopf auf die Füße stellen wollte und seines Koautors, des Unternehmers und Mäzens Friedrich Engels.
Wenige Bücher haben die Welt so stark beeinflusst, wie dieser schmale Band, der im Frühjahr 1848 in London erschien. Da gibt es vielleicht noch die großen Aufklärer John Locke und Immanuel Kant, die Geistesgrößen der Antike wie Platon oder Sokrates, deren Texte (beziehungsweise die Überlieferungen ihrer Reden) bis in die Gegenwart wirken, wirkmächtig sind. Und das gilt auch für die großen religiösen Schriften, wie die Veden oder die Bibel. Es sind eigentlich immer diejenigen Schriften von großer Langlebigkeit, denen es um eine Ethik geht, ums Zusammenleben der Menschen in einer Gesellschaft und auch um Schuld und Schulden. Schriften, die ein richtiges Leben lehren oder ermöglichen wollen. Oder wie im Falle von Marx und Engels, die Welt dergestalt verändern wollen, dass ein richtiges Leben in ihr möglich wird.
„Marx ist tot, Jesus lebt!“, rief ein Minister des Kabinetts von Bundeskanzler Helmut Kohl Anfang der 1990er dem damaligen Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei und Staatspräsidenten der Sowjetunion Michail Gorbatschow triumphierend entgegen und der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington dozierte gar das Ende der Geschichte. Doch die Geschichte lief selbstverständlich weiter, ebenso wie die Zeit es tut. Nichts ist für die Ewigkeit. Und manchmal gibt es Wiedergänger, Zombies, Untote – Gespenster und Geister eben.
Als 2008 zuerst die Lehman Bank ins Straucheln geriet und im Gefolge eine riesige Kreditblase nicht nur in den USA platzte und somit die gesamte Finanzwelt in eine chaotische Abwärtsspirale zog, da waren sich selbst eingefleischte Kapitalisten, die Banker und die neoliberalen Propheten der freien Märkte nicht mehr ganz so sicher, ob die Lehren und Ideen Marxens tatsächlich tot seien. Sein Mammutwerk „Das Kapital“ zumindest wurde in den Folgejahren im Buchhandel wieder stärker nachgefragt, wurde auch im Kunstkontext, etwa auf der Venedig Biennale in ganzer Länge öffentlich gelesen, seine Rezeption erfuhr geradezu eine Renaissance.
Über die Plastik
Während all dieser Jahre des Umbruchs, zuerst dem Zusammenbruch des sich selbst sozialistisch nennenden Ostblocks und dann des Strauchelns der Weltwirtschaft standen die Bronzefiguren Karl Marx und Friedrich Engels beim Marx-Engels-Forum in Berlins Mitte. So ziemlich genau auf der bis dato deutsch/deutschen Grenze, – was ist schon ein Kilometer in der Geopolitik? – die ja auch die Grenze der Systemblöcke Kapitalismus und realexistierender Sozialismus markiert hatte. Von Bäumen umstanden, ein wenig vergessen, von der Zeit und den Touristenströmen. Ein idyllisches Abseits für die 1985/86 aufgestellten Figuren des Bildhauers Ludwig Engelhardt.
Da standen sie nun, schwer und fest, ganz starr in Bronze und guckten von ihrem Sockel aus dem Zusammenbruch der sie ehrenden DDR zu, dem Kollaps des Staatssozialismus in Osteuropa. Und von hieraus sahen sie dem Siegeszug des Finanzkapitals zu, das Anfang der 1990er durch die Loslösung des Mehrwerts von der Ware die Umsätze und Gewinne an den Aktienmärkten in schwindelnde Höhen zu treiben begann.
Nun liegt es in der Natur der Bronze, dass sie schwer, steif und unbeweglich ist. In Form erstarrt. Es sei also die Frage erlaubt, ob Bronze von vornherein das geeignete Medium zur Ehrung einer Geistesgröße sei. Für die Arbeit von Various & Gould bildet diese Bronze den Ausgangspunkt. Sie ist die Urform.
Das Künstlerduo hat für die Arbeit „City Skins“, die wir hier heute enthüllen, ein ganz anderes Material gewählt. Ein viel Vergänglicheres als Bronze es ist, ein flexibleres auch und vor allem eines das Marx und Engels ebenfalls gewählt hatten, um ihre Ideen in die Welt zu tragen: Papier. Über das 1.-Mai-Wochenende, also zum Arbeiterkampftag formten sie die Bronzefiguren mit vielfarbig bemaltem und bedrucktem Papier ab. Lösten dann die getrocknete Hülle in mehreren Fragmenten von seiner Form. In einem zweiten Arbeitsgang wurden später die großformatigen Teile der Papierhülle im Atelier wieder zusammengesetzt.
Es ist dies das neueste Werk aus der Reihe City Skins, in der sich Various & Gould mit dem Vergessenen und dem Vergänglichen beschäftigen. Das Hingucken auf Dinge und Orte, die vom Alltag übersehen werden, ist ja immer Teil der Street beziehungsweise Urban Art-Praxis. Das Kontextualisieren des Kunstwerks durch Platzieren im Raum. Die Wiedersichtbarmachung übersehener Objekte ist auch Strategie anderer im urbanen Raum intervenierender Kunstformen.
Various & Gould widmen sich mit „City Skins“ einer ganzen Reihe von Werken des Sozialistischen Realismusses, die heute weder en vogue noch sonst irgendwie rezipiert sind. Vom Westen nach wie vor als wenig zeitgemäß und zu didaktisch ignoriert, vom Osten aus Überdruss übersehen, stehen die Werke real-sozialistischer Bildhauer zwischen Wohnblocks, in Parks und auf Plätzen. Aber keiner guckt mehr richtig hin. Dabei haben auch sie noch eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die durch den Systemumbruch Anfang der 90er um noch mindestens ein Kapitel reicher geworden ist. Die Skulptur „Der Lesende Arbeiter“ zum Beispiel, die V&G im Frühjahr 2016 in der Ausstellung „2te Elfte Interventionale“ erstmalig zeigten, ist ebenfalls die Abformung einer Arbeit Ludwig Engelhardts, die durch das gleichnamige Gedicht Bertholt Brechts inspiriert ist.
Ein interessanter Kontrast übrigens: Hier der Staatskünstler der DDR, Mitglied der Akademie der Künste der DDR, dem man 1974 den Kunstpreis und 1986 den Nationalpreis der DDR verlieh und dort das Urban Art-Duo Various & Gould die mit ihren Projekten und ihrem Netzwerk politisch eher den Graswurzelansatz von Politik verfolgen. Aber beiden ist eben auch das Politische gemein, die Beschäftigung mit gesellschaftlichen Themen ist Teil ihrer künstlerischen Arbeit. Und ganz nebenbei bemerkt, gibt es da noch eine Parallele: Sowohl Various & Gould als auch Engelhardt sind Absolventen der Kunsthochschule Weißensee.
Bei Various & Goulds „City Skins“-Reihe kommt zum politischen Hintergrund der Arbeit das referentielle Element hinzu. Es geht ihnen ja vordergründig nicht allein um den lesenden Arbeiter oder um Marx und Engels an sich, sondern um Erinnerungskultur und den Umgang mit Kulturgütern vergangener politischer Epochen. Die alten Ägypter ließen die Namen der Verstoßenen aus den Steinen schlagen, in die sie zum ewigen Gedenken graviert waren und stießen sie somit in ewige Verdammnis und Vergessenheit. Die Bilderstürmer verbrannten die unheiligen Malereien in den Kirchen, um sie aus der Welt zu schaffen. Und bei jeder Revolution schliff man die Denkmäler der Despoten, im Moment ihres Sturzes. Der Umgang mit Bildern, mit Abbildern ist Zeugnis einer gesellschaftlichen Praxis, wie des gesellschaftlichen Selbstverständisses. Wen stellen und hängen wir uns in die Öffentlichkeit? Und wie gehen wir mit ihm um? Nun, die Bilder und Skulpturen der DDR sind aus der Welt nicht verschwunden, sowie die DDR es ist. Man sieht sie bloß nicht mehr so deutlich.
Das gilt ebenso für den Diskurs über die deutsch-deutsche Geschichte, der eigentlich nie richtig geführt wurde und sich an der „City Skins“-Reihe festmachen lässt. Den Westdeutschen hat das Befinden des ostdeutschen Neu-Mitbürgers eigentlich nie groß interessiert. Sein Leben verlief auch nach 89/90 in den gewohnten Bahnen zwischen den Parametern Grundgesetz, Nutella, Auto, Bausparvertrag und Jahresurlaub. Für den Ostdeutschen hingegen hat sich in den frühen 90ern so ziemlich Alles fundamental geändert. Das Desinteresse der Westdeutschen an der spezifischen ostdeutschen Lebenssituation, den hardships des Systemwandels, wie zum Beispiel eine grassierende Arbeits- und der damit verbunden Perspektivlosigkeit großer Teile der Bevölkerung haben nicht wenige im Osten als Kränkung empfunden. Eine Kränkung, vielleicht sogar Beleidigung die einige, leider gar nicht mal wenige in den letzten Jahren in einen Protest überführt haben, der sich heute auf infantil-unmündige Weise ausdrückt indem er zu allem Nein sagt, ohne eigene konstruktive Ideen einzubringen und der sich gegen die öffentliche Ordnung richtet.
Insofern ist auch das Timing der City Skins Reihe passend. Various & Gould gehen mit ihrem leichten, schnell vergänglichen und flexiblen Material, dem nicht zufälligerweise bunten Papier an die vergessenen oder übersehnen Artefakte der DDR, die sowohl im Material als auch im ideologischen Anspruch ein Ansage an die Ewigkeit waren. Die „City Skins“ von Various & Gould sind dies ganz explizit nicht. Ihnen ist die Vergänglichkeit ins Material und ins Konzept geschrieben. Sie werden von der Witterung recht bald dahin gerafft sein. Für den Moment aber, haben sie einen poetischen Zeittunnel geöffnet, der einlädt, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.
„If you know your history – then you would know where you’re coming from“, sang Bob Marley in “Buffalo Soldier”, einem Lied über die Verschleppung der Afrikaner durch europäische Sklavenhändler. Um die Befreiung, nicht der Sklaven, aber des Proletariats ging es Brecht, wie Marx und Engels. Die Befreiung als solche ist immer eine universelle. Es befreit sich ja nicht nur der Sklave selbst, er befreit gleichzeitig auch den Sklavenhalter von seinem unethischen Dasein. Der Prolet befreit immer auch den Kapitalisten davon ein Ausbeuter sein zu müssen. Und der Feminismus befreit in seinem Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter auch die Männer davon ehrversessene Chauvinisten sein zu müssen. Es geht immer um alle in der Gesellschaft, denn der Mensch ist ein soziales Wesen und definiert sich selbst über sein Verhältnis zu den anderen. Die ja doch gar nicht so anders sind. Denn für die Sozialisten, wie auch für die religiösen Monotheisten sind wir ja eh alle Brüder und Schwestern und im Falle der Gläubigen Abbilder eines Schöpfergottes. Who knows?! Irgendwas ist da schon dran, dass nicht zu leugnen ist.
Das sozialistisch-realistische Marx-Engels-Denkmal Engelhardts wird heute als urban-artige Papierabformung Various & Goulds aus dem Herzen der Hauptstadt an seinen Rand, an die Peripherie getragen und enthüllt. Allein durch diesen Akt haben die Künstler ein neues Hingucken ermöglicht. Auf die Skulptur Engelhardts, auf Berlin-Mitte und auf Hellersdorf, auf die deutsche Geschichte und auf die Auseinandersetzung mit emanzipatorischer Philosophie. Und vielleicht können Marx und Engels ja hier im Hellersdorfer Orbit zirkulieren bevor sie wieder auf die Erde des politischen Berlin-Mittes schlagen. Noch einmal: Who knows?!
„The future is unwritten“, proklamierte Joe Strummer. Man weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Übrigens auch so eine ostdeutsche Erfahrung, die dem Westdeutschen abgeht: Man weiß nie genau, welchen Weg die Geschichte plötzlich nehmen wird. Denn manchmal kommt alles ganz überraschend und sehr schnell. So wie im Herbst 1989, den im August des Jahres auch noch keiner geahnt hatte.
Es lebe das wahrhaft Ewige, das Vergängliche nämlich. Es lebe die Befreiung. Es lebe der Mensch. Viel Spaß mit City Skins. Viel Spaß mit Various & Gould. Und viel Spaß auch mit meinen Freunden Dörty Messer & Seeräuber Jensus (von BDM — Band deutscher Mädels) die jetzt gleich „Wovon lebt der Mensch?“ aus Brechts und Kurt Weills Dreigroschenoper singen werden und sich dabei von Chérie und Nackt von Warren Suicide begleiten lassen. Booyaka.