Kuratiert von Jan Kage
Eröffnung: Donnerstag, 9. Januar 2020 – 16:00
Laufzeit: 10. Januar – 18. Februar 2020
WL86.9
Weseler Straße 108 – 112
48151 Münster
Was machen die Buchstaben in der Kunst und in den Bildern?
Was machen die Buchstaben in der Kunst und in den Bildern? Warum braucht es noch Schrift, wenn die Malerei mittels Bildern doch die Geschichten selbst erzählen kann? Wie werden Buchstaben zum Bild? Und welche Information vermitteln sie, wenn sie Bild werden? Diese und andere mehr sind Fragen, die an das Werk des Berliner Malers Stohead gestellt werden können.
In der französischen Soziologie wurde festgestellt, dass das Ge-zeichnete und das Be-zeichnete gleichzeitig entstanden. Dass das gemalte oder gezeichnete Bild und das Wort aus demselben Moment in der Geschichte kommen. Der erste Mensch, der mit Ocker einen Büffel auf eine südafrikanische Felswand malte, musste seinem Kumpel auch „Büffel“ zurufen, damit dieser verstand, was die Abstraktion auf dem Fels da bedeutete. Und wahrscheinlich tanzte eine weitere Freundin in diesem Moment auch klatschend und singend oder Flöte pfeifend um ein Feuer, weil auch die Musik, so darf spekuliert werden, im gleichen Moment geboren wurde.
Die Schrift nun, die das Wort, die Sprache mittels Symbolen festhalten und transportieren kann, entstand selbstverständlich später. Erst die Sumerer erfanden sie vor zirka 5.000 Jahren. Ihre Keilschrift diente zur Buchführung: Eine Karawane mit zwanzig Kamelen bringt von Ur nach Babylon: 40 Säcke Getreide, 20 Säcke Myrrhe und 16 Säcke Gold – oder ähnlich. Danach folgte die Geschichtsschreibung zu Ehren und Ruhm der Könige. Und mit ihr Lyrik wie Prosa.
Mit der Erfindung der Schrift und ihrer Symbole stellten sich Fragen der Gestaltung. Und durch die Jahrtausende und die unterschiedlichen Schriftarten und Kulturen, die sie nutzten, bildeten sich eine Vielzahl an Alphabeten und Ausgestaltungen dieser. Von der Buchkunst des europäischen Mittelalters mit ihren teils in Bildern geformten Lettern zur abstrakt-verschnörkelten arabischen Kaligraphie. Oder die klaren und logischen Buchstaben, die die Römer nicht nur schrieben, sondern auch in Stein meißelten – die Vielfalt ist endlos.
So nimmt es nicht wunder, dass ein Künstler wie Stohead, der als Graffiti-Sprüher in den 1980ern begann, sich mit Schrift und ihrer Gestaltung befasst und sich auch als Maler dem Verbildlichen von Buchstaben widmet.
Denn es war Graffiti das in der westlichen Welt Ende des zwanzigsten Jahrhundert die Buchstaben von der Pflicht der Bedeutungsvermittlung befreite. Ähnlich wie hundert Jahre zuvor im Jugendstil, wurden die Buchstaben genutzt, selbst Bild zu werden. Da stand zwar immer noch was auf der Wand oder dem U-Bahnzug geschrieben. Aber das was da stand, war nur für den Eingeweihten dechiffrierbar. Meistens handelte es sich dabei um den Namen des Writers, der sich für die eigene Szene in der Stadt bekannt machte. Also auch ein urmenschliches Motiv: Seht her, hier bin ich! Für den Außenstehenden hingegen boten sich nur mehr oder weniger gelungene Farbflächen dar.
Vielfältig sind die Möglichkeiten Buchstaben zu gestalten. Die Beschäftigung mit östlicher und fernöstlicher Kaligraphie beeinflussten Stohead mindestens ebenso in seiner Entwicklung, wie die jahrelange Praxis selbst. Vieles ergibt sich aus dem Machen und Finden. Betrachtet man das einzigartige Werk, dass der in Berlin lebende Künstler über die Jahre geschaffen hat, so erkennt man verschiedene Werkgruppen, die aufeinander aufbauen.
Da sind die klaren Schriftbilder, die einzelne Worte auf die Leinwand bringen. Worte, deren Buchstabenanzahl eine Primzahl ist und die deswegen als Quadrat arrangiert werden können. 2 x 2, 3 x 3, 4 x 4 usw. LOVE und DELICIOUS beispielsweise oder auch mit mehreren, einem Song entliehenen Worten: TOO MANY MCEES NOT ENOUGH MICS und andere mehr. Im klaren, fetten Lettering, das zum unverkennbaren Stil des Künstlers geworden ist. Zu seinem Markenzeichen, wenn man so will.
Ganze Texte von Liedern als Rechteck auf das große Format geschrieben. In einem Schwung, aus einem Moment, der ähnlich einer musikalischen Performance nicht unterbrochen werden darf, hat man ihn einmal begonnen. Aus einem Schwung, beziehungsweise seinem „Swing“, wie Stohead das nennt, geschaffen. Ein Swing der sich in einer viele Jahre langen Praxis herausgebildet hat. Auch hier entzieht sich der Buchstabe der Pflicht, die Information zu übermitteln. Den Songtext kann man überall nachlesen. Vielmehr sind diese Schriftbilder Bildnis gewordene Musik. Da sind Wellen, Harmonie, Komposition und die Emotion des Rezipienten, der nun selber Produzent wird: Stohead – der Übersetzer von Musik in Bild.
In der Werkreihe RECOMPOSITION prallen die verschiedenen, vom Künstler über die Jahre entwickelten Schrifttypen aufeinander, „clashen“ wie Stohead das nennt. Dass hier kein Chaos verschiedener Stile und Fonds entsteht, vermeidet er durch Balance und Berechnung verschiedener Strichstärken sowie durch die Anordnung und Farbigkeit der einzelnen Elemente. Es sind Bilder die gleichzeitig laut und dennoch wohl geordnet, also harmonisch sind. Ähnlich der Anmutung einer zugetaggten Wand oder Tür überlagern sich in diesen Bildern die Stile. Der gelungene Tag, der sich durch Inspiration, Bewegung und Stiftführung, durch Energie und durch Kohärenz auszeichnet, ist die Basis und erscheint hier in dekonstruierter Multitude.
Dann sind da die Gemälde, in denen sich die Schrift vollends in Malerei auflöst. Fragmente von Buchstaben, die der Betrachter zu erkennen meint, lösen sich in wolkigen, ephemeren Feldern auf, die ganz Bild sind und eine Tiefe suggerieren als schaue man auf dem Meeresboden liegend zur Wasseroberfläche hinauf. Oder auf der Wiese liegend in Wolkenformationen, in Rauchschwaden, in Nebel. Hier entwickelt Stohead eine malerische Qualität, die sonst in der zeitgenössischen Malerei zu finden ist. Abstraktion, Tiefe und faszinierende handwerkliche Geheimnisse.
Und da ist die Serie „La Mort d’Écriture“ (Der Tod der Schrift), in der Stohead die abstrakte Bildwelt mit dem Schriftbild verbindet, in dem er die Buchstaben grillt (um es bildhaft zu sagen) und in Rauch auflöst. In ihr reflektiert der Künstler, dessen ganzes Werk sich also mit Buchstaben und ihrer Gestaltung beschäftigt den gegenwärtigen Kulturwandel, in dem die Handschrift sukzessive aus dem Alltag verschwindet. Durch die digitale Revolution ans Tippen und Klicken gewöhnt, lernt eine Mehrheit der Schüler*innen aus den technisch fortschrittlichsten Nationen heute nicht mehr, flüssig mit der Hand zu schreiben. Dieser Verlust einer Jahrtausende alten Kulturtechnik wird von einem Künstler wie Stohead als fundamental begriffen. Und in Malerei übersetzt.
Die Ausstellung „Alphabet Street“ präsentiert einen Querschnitt Stoheads Schaffens. Der Titel der Ausstellung ist einem Lied des Musikers Prince entliehen. Insofern passend, als dass Lieder nicht allein als Textquelle für Stoheads Bilder dienen. Denn Musik und (abstrakte) Malerei haben viele Parallelen, die sich auch in Stoheads Bildern und Schaffen finden lassen. Rhythmus, Struktur, Komposition, Harmonie, Farbe, Schwung, Geist und Handwerk – um nur ein paar zu nennen. Auch Stoheads Wort Swing, ist dem Jazz, also der freien, improvisierten Musik entlehnt. „It don’t mean a thing if it ain’t got that swing“, wie es in einem von Stohead auf Leinwand zitierten Lied von Irving Mills heißt.
Und außerdem kommen Schrift und Bild ja, genauso wie auch die Musik aus demselben Ursprungsmoment. Damals in den Höhlen Afrikas, als alles entstand, was wir auch heute noch sind.
Jan Kage,
Berlin, November 2019