Yaneqdoten

Hauptstädter

Yaneq erzählt von Reue, einen einstigen Ausspruch betreffend und davon wie er schon immer ein Hauptstдdter war und so gerne nun auch noch ein Berliner werden mцchte, Hipster-Bashing hin oder her.
Wer Wind sдht, wird Sturm ernten, heiЯt es in einem alten Buch, dessen Titel mir gerade bewusst entfдllt. Und wie es mit so alten, weisen Sprьchen ist: Sie stimmen oft.
In einer frьheren Yaneqdote (»Learn the rules, kid!«) beschimpfe ich zum Beispiel einen jungen Franzosen als »Touristen«. Nicht weil ich wirklich etwas gegen Touristen hдtte, schlieЯlich sind wir ja alle immer wieder irgendwo Touristen, sondern um das Wortgefecht ьber wilde Plakatierung zu gewinnen, in das ich mich mit ihm befand. Und in diesem Gefecht kam mir halt das Touri-Argument gerade so in die Flinte. Puff. Geschossen. Ein kleiner Wind. Jetzt, etliche Jahre spдter schlдgt mir eine Sturmfront ins Gesicht.
Es ist Legende: Berlin ist oberangesagt. Unzahlen an internationalen Touristen und neu-Berlinern mit FuЯ-Pils in der Hand bevцlkern die Trottoirs der Szene-Kieze. In der Neukцllner Weser StraЯe sollen sich sogar die neuseelдndischen Hipster mit den kanadischen Neubewohnern um die Eigentьmerschaft der StraЯe streiten. Die Fun- und Lifestyle-Refugees der zwei langweiligsten Commonwealth-Nationen im Battle um Territorium quasi. Eine schцne Fortsetzung der eigenen kolonialen Landnahme-Tradition kцnnte man spotten. Aber dann: Sind wir nicht alle Fun- und Lifestyle-Refugees von irgendwo? Und ist das nicht einfach »auch gut so«, wie ein »echter« Berliner einst formulierte? Die Stadt ist doch fьr alle da. Und alle sind fьr das Recht auf Freizьgigkeit. Was ist die Arroganz der Zuerst-Gekommenen oder Wo-Geborenen? Provinziell, im besten Fall.
Mich regt schon die Frage »Bist du Berliner?« auf, die einem bezeichnender Weise aber auch immer nur von Gerade-Hierher-Gezogenen gestellt wird. Was soll das denn heiЯen, bitte? Klar, ich bin hier seit sechzehn Jahren als Bьrger gemeldet. »Nee, richtiger Berliner?!«, kommt es ungeniert aus dem frechen Maul. Du meinst, ob ich hier geboren wurde? Nee, ich bin in der Hauptstadt geboren. Und das habe ich mit den Ost-Berlinern, aber nicht mit den West-Berlinern gemeinsam. Wer jetzt innerhalb von zwei Sekunden die alte Hauptstadt der BRD nennen kann, ist zur ihm eigenen Pronvinzialitдt zumindest nicht auch noch strunzdumm. Viele brauchen aber lдnger als fьnf Sekunden, sodass ich die Stadt auch noch selber beim Namen nennen muss. »Wiiie, Bonn?!«, rufen sie dann und haben unfreiwillig den halb stolzen, halb bespцttelten Gesichtsausdruck, den Kleinkinder kriegen, wenn sie etwas raffen, aber nicht wissen, was sie davon halten sollen. Ja, Bonn, Bitch! Ich wohne ausschlieЯlich in Capitals. I’m a capitalist! Und jetzt schwirr ab! Ich will mit interessanten Menschen ьber interessante Dinge reden.
Im Ernst: Nach sieben Jahren Residenz kann man Deutscher werden. Aber Berliner nie? Blut und Boden-ScheiЯe ist das, ihr Provinz-Nazis. Geht mal nach New York oder in andere richtige Metropolen und lasst euch den Kopf waschen. Da sind auch alle von irgendwo her.
Ja, ich habe selber diesen Wind gesдht. Der Sturm den ich ernte? An das Schaufenster meines Kunstraums Schau Fenster, den ich seit drei Jahren in Kreuzberg betreibe, hat mir neulich irgend ein schwдbischer Gentrifizierungsgegner »Touris raus!« gesprьht. In extrem toy-iger Schrift. Wenn er das hier lieat, kann er gerne mal auf ein schwдbisches Bier vorbeikommen und ein interessantes Thema mitbringen. Zum Beispiel, wo er so in Urlaub hinfдhrt. Oder wie er Berliner Tьrken findet; sind ja auch hierher gezogen. Ja, die Stadt wird voller. Ja, es wird anstrengender. Ja, das produziert Aggressionen auf allen Seiten. Aber will man wirklich so leben? Ich nicht. Deswegen habe ich auch darauf verzichtet, einen Kommentar wie »Deutsche, kauft nicht bei Juden!« ins Fenster zu kleben.
Ein befreundeter Fotograf und Street-Artist, der hier lieber anonym bleiben will, hat letztes Jahr eine Facebook-Gruppe namens »Hipster Antifa« ins Leben gerufen und postet auf der Seite Fotos von Billo-Taggs gegen Schwaben, Hipster und Neu-Berliner, weil er diese strukturell antisemitisch findet. Die Reaktionen auf die Seite fielen harsch aus. Weitgehend aggressive Ablehnung. Er hat also einen Nerv getroffen.
AuЯerdem: Was soll das Hipster-Bashing ьberhaupt? Ich liebe William S. Burroughs und Jack Kerouac. Und Thelonious Monk ist Gott. Das sind die true-school Hipster der ersten Stunde. Style, Witz, Wut, Intelligenz, Hedonismus, gelebte Philosophie und Reflektion: Welcher verkniffene SpieЯer kann etwas dagegen haben?
Alle oder zumindest alle nicht vollkommen faschistoiden Vollpfosten kцnnen sich darauf einigen, dass Patriotismus Unsinn ist. Unsinn der nur Abgrenzung, Krieg und Leid produziert. Warum glauben dann immer noch so viele Reflex-Denker, dass Lokal-Patriotismus eine lдssliche Sьnde sei? Fuck that! Lokal-Patriotismus ist die Grundschule des Patriotismus. Und nur weil die Vertreter der Grundschule quasi per definitionem Kinder sind, spare ich nicht mit meiner Kritik. Ich glaube sowieso nicht an das Konzept kindlicher Unschuld. Warum sollen Kinder unschuldiger sein? Und warum Erwachsene schuldig? Das leuchtet mir genauso wenig ein. Fьhrt aber vom Thema ab.
Ich empfehle allen Berliner Lokal-Patrioten zwecks Schock-Schulungszwecken einen Ausflug zu den echten Patrioten im Brandenburger Umland. Nehmt am besten einen tьrkischen Homie mit und verteidigt ihn gegen die rassistischen Dumpf-Bauern, wдhrend ihr euch in ihnen spiegeln kцnnt. Und dann ab, Kinderarbeit bei mir am Schaufenster leisten und die Toy-Taggs abwischen. Das hilft. Denn hinterher seid ihr komplettere Menschen. Versprochen!
Und ich werde nie wieder franzцsische Hippies beschimpfen, die in Berlin Jam-Session machen wollen. Auch versprochen!
Peace out,
ein Hauptstдdter.

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