Yaneqdoten: Venga, venga, motherfuckers!

Yaneq reist mit einem Kumpel nach Gran Canaria und findet dort wie zufällig Belege für die bereits von seinem Geschichtslehrer gehegte Binsenweisheit

In der Stadt sind die Menschen freundlich und nett, auf dem Lande bösartig und gemein!

Eigentlich war ich vorgewarnt. Mein Geschichtslehrer hat uns früher in der Schule eingebläut: In der Stadt sind die Menschen freundlich und nett, auf dem Lande bösartig und gemein! Was natürlich daran liegt, dass der Stadtmensch Kultur hat.

Nun muss der Stadtmensch aber ab und zu die Stadt zwecks Erholung verlassen, sonst dreht er durch oder zehrt sich auf. Hier ne Party, da ein Fest, guck doch mal die Vernissage dort an und morgen hat Peter Geburtstag. Alles Veranstaltungen die an sich haben, dass man sie nicht nüchtern verlässt. Die Spirale dreht immer schneller und wenn man ihr Ende erreicht, wird man zum Urlauben herausgeschleudert. Der Städter braucht die Sommerfrische und der Berliner, mit den langen grauen Wintern, braucht sie schon im Februar.
So flog ich in eine Gegend der Welt, wo es absolut keine Kultur gibt. Nichts, niente! Nur Vulkanstein, Strand und Menschen, die von der neuen Tyler the Creator-Platte ebenso wenig wissen, wie von Banksys Film und die mit beiden, wenn sie sie denn kennen würden, auch nichts anzufangen wüssten. Ideal, um die nervöse Überspanntheit abzuschütteln und sich ein wenig auszuruhen.
Gran Canaria, am äußersten Rande der EU, bietet mit seinen Hotelburgen für dicke, deutsche Rentner und dicke, deutsche Schwule im Süden der Insel und seiner schlichten Bebauung im Westen und Norden, wo die etwas herbe lokale Bevölkerung lebt, nicht viel Ablenkung. Ideale Vorraussetzungen, um ein dickes Buch zu lesen zu dem man sonst nicht kommt (Jonathan Franzen), Frisbee am Strand unter der Einflugschneise des Flughafens zu spielen und zu schnorcheln. Mein Kumpel Beduine (Name wohlweislich geändert), ein gefeierter Street Artist und DJ, war zum vierten Mal in diesem Winterquartier. Wir kochten jeden Abend Fisch, tranken Wein, ich verzichtete auf Gras und fing dafür wieder das Rauchen an und ging einmal die Woche joggen. Aber wenn man so gut und erholsam lebt, schüttet der Körper Hormone aus, deren Wirkung man fast vergessen hatte. Hormone der Unruhe, der Unternehmungslust, Hormone, die dich aus dem Haus treiben, Frauen suchen, Einen trinken lassen gehen. Kurz: irgendwann fällt die Decke auf den Kopf. Da hilft nur Action und Furore. Also ab in den Süden der Insel, zu den bronzefarbenen Rentnern und den nackten Schwulen am Strand, auf nach Playa del Ingles, wo die Plattenbauten nach Antalya oder Palmas de Mallorca aussehen, wo die Swingerclubs in zugepissten Ladenpassagen zum beischlafen laden und wo man hinterm Tresen deutsch spricht. Ab in die Fußballkneipe.
Beduines fränkischer Heimatclub spielte am Abend (und gewann). Und so saßen wir da, eine Kölschstange vor uns, die Ich-kiffe-nicht-mehr-Kippe im Gesicht und kamen mit dem Rentnerpaar aus Wanne-Eickel ins Gespräch. Lucky us, denn der freundliche Mann mit dem grauen Schnauzer entpuppte sich als mehrmaliger Skat-Weltmeister! Wann lernt man so einen denn mal kennen? Ist Skatweltmeister eine Einzel- oder Teamkategorie? In wie vielen Ländern wurde überhaupt Skat gespielt? Spielt man das denn überhaupt noch? Seid ihr dann auch Kegler? (»Ja, aber nur Hobby.«) Fragen über Fragen, die dazu führten, dass wir unser gesamtes Budget in Kölsch und Wodka investierten und den letzten Bus zurück verpassten.

Die Dorfjugend im Bum-Bum Auto
Wir mussten einen Umweg fahren und dann eine dreiviertel Stunde zu Fuß an der Landstraße langlaufen, Bierdose in der einen Hand und den Daumen der anderen freundlich in die Luft gestreckt, wenn ein Auto an uns vorbeifuhr. Aber wer nimmt nachts um 2 schon zwei lange Kerls auf der Landstraße mit? Eben.
Bis irgendwann dieser rote Kleinwagen aus dem es weithin vernehmlich Bumm-Bumm-Bumm schallte um die Ecke bog, seine Insasse laut johlend und zur Hälfte aus dem Fenster lehnend. »Oh, die Technojugend«, sagte ich zu Beduine und hielt wieder die Tramperhand in den Wind, voller Freude über einen Ride und – wie es sich anhörte – eine Afterparty. Das Auto wurde langsamer, der Beifahrer johlte. Ich johlte auch, Kölsch im Blut. »Da simmer dabei!« Doch ich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Beziehungsweise: Ohne die aufgeputschte, aus dem Autofenster hängende Dorfjugend. Der Beifahrer johlte, schwang eine Flasche und spritzte uns im Vorbeifahren nass. Kurzer Schreck, besser: Moment des ungläubigen Staunens, dann riefen wir hinterher: »Vemos, venga, venga, you fucking assholes«, oder ähnlich international verständliches. Und sie kamen tatsächlich vier Minuten später zurück, diesmal in der anderen Richtung und verspotteten uns im Vorbeifahren. Wir also wieder: »Venga, motherfuckers! Come here.«
Nun, ich bin von Haus aus nicht der begabteste Schläger und von meiner Philosophie her eher auf Ausgleich und Versöhnung bedacht, aber genug ist genug: Vier gegen Zwei, Autofahrer gegen Fußgänger – wir waren in einer moralisch eindeutigen David gegen Goliath Situation und dazu kommt: Wenn sie einmal an uns vorbeigefahren wären und der Beifahrer alleine Quatsch gemacht hätte, wäre es ja okay gewesen. Können die anderen im Auto ja nichts für. Aber die gelangweilte, aufgeputschte Dorfjugend hatte umgedreht, um die einsamen, abgebrannten Landstreicher zu verspotten! Fucking Rednecks. Sie wollten es nicht anders.
Wir nahmen uns jeder einen Stein, einen guten, festen Stein, der in die Hand passt und den man Schleudern kann. Biblisch. Wir gingen weiter, gingen ein bißchen auseinander, Beduine zwanzig Meter vor mir. In der einen Hand die Strandtasche mit der Frisbee und dem dicken Buch und in der anderen Hand den Stein. Und dann kamen sie wieder um Kurve, Bumm-Bumm-Bumm machte der David Guetta Kirmestechno. Der Beifahrer hing wieder raus, schwang seinen Wasserflaschenarm und spritzte wieder. Ich hob meinen Stein und wollte ihn hinterher pfeffern, aber dachte gleichzeitig, der ist schon zu weit, also rief ich »Die Wichser« und in diesem Moment waren sie genau auf Beduines Höhe. Er schmiss seinen Brocken ins hintere Seitenfenster. Vielmehr durch das Fensterglas und dann wurden die Sekunden lang.

Komm, wir botten
Ich schloss auf, wir standen und guckten, wie der Wagen erst unvermindert weiterfuhr und erst nach 40, 50 Metern Fahrt die Bremslichter aufleuchten ließ. Sie leuchteten lange. Wir standen da am Straßenrand, die Straße gelb beschienen, ein paar einfache Landhäuser rechts und links so Mauern aus grob gehauenem Stein – hinten, unter einer Laterne, der kleine Bumm-Bumm-Wagen mit den roten Bremslichtern. Wie im Western: Showdown.
Beim kleinen, roten Wagen erloschen die Bremslichter, dafür schien der Fahrer den Rückwärtsgang eingelegt zu haben, es leuchtete jetzt weiß. »Komm, wir botten«, rief Beduine und war schon in diesem Feldweg zwischen den zwei Mauern links verschwunden. Ich hinterher, die Strandtasche am Arm, meinen Stein noch in der Hand. Beduine kamen jetzt seine jahrelangen Street Art- und Grafitti-Erfahrungen zu Gute, ein Satz und er war über die zwei Meter Mauer. Ich, dessen sportliches Selbstbewusstsein nie das größte war, warf meine Tasche rüber und rief vorsorglich »hilf mir hoch«, schaffte es dann aber doch alleine. Beduine suchte den Boden ab: »Wir brauchen Stecken«, er fiel direkt ins Fränkische, obwohl er sonst immer Hochdeutsch sprach. »Das ist ein geiler Stecken, Yaneq.« Ich prüfte ihn. Es waren noch Nägel drin.

Wir hatten aus unserem Versteck gute Sicht auf die Landstraße. Der kleine, rote Wagen fuhr auf und ab. Dreimal, viermal, sie suchten uns. Wie gesagt: Ich bin nicht der beste Schläger. Was vor allem daran liegt, dass ich nur schwer die nötige Wut aufbringe. Ich habe mir angewöhnt arrogant über der Situation zu thronen. Du musst mir schon nen Nazi hinstellen; aber vier besoffene Bauern? Andererseits: Auf diskutieren sind die jetzt auch nicht mehr aus. Im Kopf spielte ich es durch: Einen kannst du mit dem »Stecken« strecken und die anderen hoffentlich erschrecken. Danach ist alles offen. Sie sahen uns nicht.
Nach acht oder zehn Minuten gingen wir weiter. Wir waren schon am Stadtrand. Immer wenn wir ein Auto hörten versteckten wir uns in einem Eingang. Den Stecken in der einen, die Tasche mit dem Buch in der anderen Hand. Beduine zeigte mir noch, wie man am unauffälligsten in einer Allee läuft: Dicht an den Bäumen, und dann waren wir wieder zu Hause bei den zwei Surferjungs, bei denen wir uns eingemietet hatten.
Man kann natürlich den Standpunkt vertreten, wir hätten übertrieben reagiert: Ein Stein gegen ein paar Wasserspritzer! Und ich habe den Gedanken selbst von links nach rechts gewältzt. Aber das Gefühl, sich von den Bauern nicht verarscht haben zu lassen, sondern ihnen einen mitgegeben zu haben, diesen bösartigen und gemeinen Landmenschen, die immer wieder zu uns zurückkamen, um sich ihre bäuerliche Langeweile zu vertreiben, in dem sie uns noch mal und noch mal verspotten, das war schon ein gutes Gefühl. Don’t fuck with Berlin City!
Und mit diesem guten Gefühl bin ich dann zurück nach Hause, zu den guten Menschen in den Clubs und auf den Partys, den Künstlern auf ihren Eröffnungen, den Konzerten und all den schönen Frauen. Und aus dieser schönen, friedlichen, urbanen Welt werd ich hier berichten, in dieser Kolumne.

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